Zwischen den Klausuren eine Woche Zeit? Was macht man da? Lernen war gestern! Also Sachen packen, Bus buchen und auf geht’s.
Birmingham
Gerade weil Birmingham die zweitgrößte Stadt Englands ist, habe ich viele Attraktionen und Sehenswürdigkeiten erwartet. Ich meine, 1.000.000 Einwohner müssen sich doch zu beschäftigen wissen. Allerdings hatten viele Touristenmagneten zu meiner Reisezeit (im Januar) nur kurz oder gar nicht geöffnet. Trotzdem habe ich die zwei Tage Aufenthalt gut gefüllt bekommen und neue Erkenntnisse sowie jede Menge Klamotten aus Birmingham mitgenommen.
Art Gallery
Da ich einen Großteil der modernen Kunst nicht so recht verstehe, war dieser Teil der Ausstellung schnell erledigt. Kurz bevor ich flüchten wollte, entdeckte ich glücklicherweise noch weitere Räume der Kunstgalerie, was sich zu einem regelrechten Labyrinth aus Treppen, Etagen und Fluren erweiterte. Dort fand ich in Sälen und unter Kuppelgewölben letztlich jene Kunstwerke auf die ich gewartet hatte: gemalte Bilder, die Fotografien gleichen, Elend und Leid, Glück und Hoffnung einfangen oder dem Betrachter die Schönheit und Ruhe des weiten Landes zeigen.
The Coffin Works
Hätte ich die Vokabel Coffin (zu dt. Sarg) nachgeschlagen bevor ich die Tickets kaufte, wäre ich vielleicht nicht sonderlich erpicht gewesen diese Attraktion mitzunehmen. Umso spannender war die Führung durch dieses Gebäude und die Geschichte der Newman Brüder, die das Geschäft aufgebaut haben. Ich versichere euch, die Vokabel werde ich nicht mehr so schnell vergessen. Nachdem der erste Schock überwunden war, war die Tour unheimlich informativ und mit viel Witz aufbereitet. Zunächst schnupperten wir in den Arbeitsprozess einer Manufaktur für Sargverzierungen aus den 1880er Jahren anhand von originalen, funktionierenden Konstruktionen. Namensplatten und Henkel wurden mit viel Kraft an der Maschine und jeder Menge Lärm ausgestanzt und geprägt. Anschließend ging es in die Geschäftsräume und weiter durch 100 Jahre Geschichte der Firma. In den vielen Geschäftsjahren stattete die Manufaktur unter anderem die Särge von Winston Churchill und Prinzessin Diana aus.
Bull Ring
„Nach Birmingham fährt man zum Shoppen“ war die Antwort einer Britin auf meine Reisepläne. Im Nachhinein kann ich diese Aussage stark unterstützen. Laden an Laden und das auf mehreren Etagen und sich über zwei Kaufhäuser erstreckend – das ist der Bull Ring. Ein Shopping-Herz wird hier garantiert nicht enttäuscht. So verbrachte ich also einige Stunden: stöbernd, schlendernd und naschend. Dabei blieb die ein oder andere Geldausgabe nicht aus. Bis meine müden Füße mich noch die letzten Meter bis ins Kino trugen und sich während „The Greatest Showman“ wippend wieder erholten. Denn bereits am nächsten Tag ging es weiter nach Manchester.
Manchester
Wie sehr ich bei jeder Stadtführung wissensdurstig versuche alles Gesagte abzuspeichern und wie viel letztlich wirklich hängen bleibt, sind zwei Paar Schuhe, die mir anscheinend nicht passen. Obwohl ich noch genau weiß wie begeistert ich nach der Tour war und wie ich mich über kleine Anekdoten schlappgelacht habe, so kann ich jetzt mit Gewissheit sagen, dass ich kaum noch etwas davon wiedergeben kann. Also nun in komprimierter Schnellfassung die Stadtführung durch Manchester: Wolle, Wolle und noch mehr Wolle – Baumwolle hat die Stadt groß gemacht, da sie sich aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit dort sehr gut verarbeiten lässt. Geburts- und Wirkungsstätte von Alan Turing, dem Begründer theoretischer Grundlagen der Informatik. Royal Exchange Theatre (mit originalem Handelskurs vom Tag der Zerstörung), das bis zum Bombenangriff im zweiten Weltkrieg das weltweit größte Zentrum für Baumwollhandel war und heute für diverse Cafés und eine Bühne umgebaut wurde. Auf dem Shambles Square steht das älteste Gebäude seiner Art in Manchester aus dem 16. Jahrhundert: heute ein Pub. Die John Rylands Bibliothek in einem imposanten gotischen Gebäude beherbergt eine faszinierende öffentlich zugängliche Sammlung von Büchern und Manuskripten. Große Kathedrale.
The Museum of Science and Industry in Manchester
Ob alte Maschinen, Flugzeuge und Eisenbahnen, Turings Lebenswerk oder Oldtimer, jeder Nostalgiker und Geschichtsfreund kommt hier auf seine Kosten. Oder sollen es doch lieber Flugsimulatoren, Mitmach-Experimente und Ausstellungen über neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Forschung sein? Die Vielseitigkeit und Größe des Museums ist beeindruckend. Dazu kommen noch Wechselausstellungen wie beispielsweise über Videospiele. Nun sollte klar sein, warum die zwei Stunden, die ich Zeit hatte, nicht einmal ansatzweise ausgereicht haben, um alles zu entdecken. Darum habe ich mich auf die Textil-Galerie fokussiert, wo ich eine Vorstellung der originalen Maschinen aus dem 19. Jahrhundert bestaunen konnte. Der gesamte Weg der Textilherstellung dieser Zeit von der Wolle zur Garnherstellung und dem Weben bis hin zu den fertigen Klamotten wurde veranschaulicht. Auch die Geschichten über die gefährliche und harte Arbeit für die Frauen und Kinder, die dort ihr täglich Brot verdienten, schienen für einen Moment genauso gegenwärtig zu sein wie die Maschinen selbst.
Old Trafford
Nachdem ich bereits in Liverpool die Stadiontour verschmäht hatte, konnte ich meinem sportbegeisterten Onkel das doch kein zweites Mal beichten. Also erstand ich noch die Last-Minute-Tickets für die letzte Tour des Tages und ehe ich mich versah stand ich in über 100 Jahren Clubgeschichte im Museum. Auch für weniger Fußballvernarrte wie mich gab es in der Ausstellung Spannendes zu entdecken. So auch Glanz und Gloria, die man in dem Trophäenraum mit all seinem edlen Metall verspürt. Doch das wirkliche Highlight folgte am Ende der selbstgeführten Museumstour, nämlich die Führung durch das Stadion. Eine gruppe von 30 Personen, in einem Stadion, das fast 75.000 Menschen fasst – das ist schon ein unglaublicher erster Eindruck gewesen. Weiter ging die Führung durch die Umkleiden, zu den VIP Plätzen bis hin zu unserem Einzug durch den Tunnel. Währenddessen erfuhren wir über die vielen Abläufe vor, während und nach einem Spiel sowie über den Bau und die Architektur des Old Trafford. Ein wirklich eindrucksvolles Erlebnis und eine definitives Must-See in Manchester für Fußballfans genauso wie für Sportmuffel. (Und für meinen Onkel gab es noch einen personalisierten Untersetzer – alle glücklich.)
PS: Die Klausur, die ich drei Tage nach meiner Rückkehr geschrieben habe, war keine Glanzleistung.
Also die Moral von der Geschicht:
Aufschieben lohnt sich nicht.Auch wenn du am meisten lernst auf einer Reise
wird der Professor – nicht einmal teilweise –
dein Weltwissen in der Klausur abfragen.
Willst du also keine schlechte Note beklagen,
dann fang rechtzeitig an und lerne!
Danach ist noch genug Zeit für die Ferne.